Antifragilität, Design
und Open Source

»Fragil ist das, was keine Unord­nung mag. Was keine Unord­nung mag, mag auch die Zeit nicht, keine zufälligen Ereig­nisse. Dann ist robust, was sich nicht um Unord­nung küm­mert. (…) Und anti­fragil ist, was Unord­nung bis zu einem gewissen Punkt sogar mag, sie lässt es gedei­hen. (…) Was von der Unord­nung pro­fi­tiert, pro­fi­tiert von der zeit­lichen Dauer, von Schocks und Unruhe. Anti­fragil ist etwas, wenn es von einem Zufall oder Fehler pro­fi­tieren kann.«
– Taleb in Stern­stunde Philo­so­phie, SRF Kultur (Min. 29:00–34:00)

Taleb definiert den Begriff Anti­fra­gilität in Abgren­zung zu etwas Fragilem oder etwas Robustem. Fragile Dinge fallen beim Ein­fluss von Stress­fak­toren in sich zusam­men (sie has­sen Fehler), robuste Dinge halten ihnen stand (Fehler sind ihnen egal), anti­fragile Dinge jedoch wachsen beim Ein­fluss von Stress­fak­toren, sie gehen gestärkt hervor (Fehler dienen, sie sind nütz­lich). Das ver­deut­licht der Ab­satz Trial and Error. Neben Trial and Error stellt Taleb weitere Aspekte dar, die zur Anti­fra­gilität bei­tragen: Dezen­tralität mit einer Bottom-Up-Stra­tegie und den Effekt der tat­säch­lichen Betei­ligung – »to have skin in the game«.

Dezentral und demokratisiert: »Bottom-Up«

Open Source basiert auf Gedanken der Demo­kratisierung von Pro­jekten und des gemein­samen Erar­bei­tens von Din­gen. Kollek­tive Teil­nahme ist ein wichtiger Grund­pfeiler der Bewe­gung. Das macht sie vor­wiegend auch zu einem sozia­len Phä­nomen. Diese Demo­kra­ti­sierung und Teil­nahme vieler lässt Open-Source-Pro­jekte von unten nach oben und dezen­tral ent­stehen. Jede*r ist gleich­berechtigt, jede*r nimmt gleicher­maßen Anteil.

Skin in the Game – der Effekt der tatsäch­lichen Beteiligung

Der Bottom-Up-Ansatz führt auch dazu, dass viele Betei­ligte »Skin in the Game« haben, wie Taleb es formuliert. Alle Projekt­be­teiligten, die an oder mit einem Open-Source-Projekt arbei­ten sind darin invol­viert. Ange­nom­men, ich über­mittle eine Opti­mierung an einer let’s say Open-Source-Schrift, zum Bei­spiel eine alter­native Glyphe, so werde ich meist in einem Log ein­ge­tra­gen – man erhält dafür Credit. Das führt auch dazu, dass Teil­neh­mende selten schlechte Arbeit über­mitteln (denn auch das stünde im Log) und selbst wenn, hat die Community direkt ein korri­gieren­des Auge darauf.

Trial and Error – eine antifragile Arbeitsweise

Open-Source-Projekte sind für Trial and Error prä­des­tiniert. Wird eine Schrift Open Source pub­liziert, so kann jede*r an ihr weiter­arbeiten, alter­native Gly­phen an­legen, alternative For­men ent­wick­eln, frei testen, was die Buch­staben­formen vielleicht leser­licher, vielleicht deko­rativer macht – je nach Ziel­setzung. Klappt es, wird eine Optimierung zumeist wieder mit der Gemein­schaft geteilt; klappt es nicht, ist auch nichts verloren. Open-Source führt also zu einem kollektiven Trial and Error. Spätestens hier erreichen wir die Anti­fragilität.

Krisen und schwarze Schwäne

Schwarze Schwäne sind laut Taleb große Über­raschungen guter oder schlechter Art, die nie­mand hat kommen sehen. Das Inter­net wäre ein posi­tives Bei­spiel, die Finanz­krise 2009 ein Nega­tives. Wie reagiert ein Open-Source-Pro­jekt auf schwarze Schwäne und Un­vor­her­gesehenes? Es ist stand­haft gerade durch die Be­teiligung vieler, hier sei erneut auf den Bus Factor ver­wiesen, ein belieb­ter Begriff in der Open-Source-Welt. Da jeder ein Open-Source-Pro­jekt ver­stehen und bear­beiten kann, kann schnell auf schwarze Schwäne ver­schie­den­ster Art reagiert werden.

Fazit

»Wir müssen in größeren Begriffen denken – was für das System und weniger für das Individuum gut ist.«
– Taleb in Sternstunde Philosophie, SRF Kultur (Min. 34:29–34:35)

Open-Source-Projekte können anti­fragiler sein. Der dezentrale Ein­fluß vieler lässt sie wachsen, wirk­samer werden und vermindert un­er­war­tete Risiken. Sie bedienen außerdem Talebs Zitat, die Ge­stal­tenden wandeln sich vom Einzel­kämpfenden verstärkt zur Gruppen­dynamik. Ein Neu­denken unseres Arbeits­systems mit mehr Open-Source-Mechanismen macht es antifragiler und zudem zeit­gemäßer mit den ein­her­gehen­den post­kapitalis­tischen An­sätzen.