Free as in Free Speech
Open Source in freier Wildbahn

»It’s about the people – The epos isn’t limited to software. A number of related movements have sprung up in the past few decades, each dedicated to sharing, transparency and collaboration.«
— Vicky Brasseur in Forge Your Future with Open Source (S. 4)

Der Ur­sprung des Open Source liegt in der Software-Entwicklung, die Para­digmen strahlen aber inzwischen weit über dieses An­wen­dungs­feld hinaus und finden An­wen­dung in der Wissen­schaft, in der Bil­dung, im Gesund­heits­wesen, in sog. FabLabs (von fabrication laboratory) oder MakerSpaces, in der Musik oder sogar in Re­gierungs­orga­nisationen. Das Phänomen Open Source hat sich auf die Öffnung und ge­meinschaft­liche Er­arbeitung von Wissen und Infor­ma­tionen im Allgemeinen aus­gedehnt und ist in seinen vielen Zweigen nicht mehr nur theo­retisches Prinzip, sondern ver­ankert sich in etlichen an­gewandten Pro­jekten. Ausgewählte Beispiele sind unten genannt.

Zweige des Open Source

Vom transparenten Regieren bis zum freien Saatgut

Die obenstehende Grafik zeigt Zweige, die sich aus der Open-Soft­ware-Be­we­gung ent­wickelt haben. Ein Bei­spiel für den Zweig Open Knowledge wäre die gleich­namige Open Knowledge Foundation (OKFN) mit Sitz in Berlin. Wie ihr Name bereits angibt, befasst sich die Nicht-Re­gierungs-Orga­nisation (NGO) mit »offenem Wissen für die digitale Zivilgesellschaft.« Ihr Pro­jekt Prototype Fund fördert sog. Public Interest Tech Projekte, die sich z.B. hoch­aktuell mit der Ent­wicklung ver­schiedener digi­taler Tools zum Um­gang mit dem Corona-Virus be­schäftigen. Ein anderes Projekt, FragDenStaat, sammelt Bür­ger*innen-An­fragen an Bund und Länder und ver­öffentlicht die behörd­lichen Ant­worten im Sinne eines transparenten Regierungs­handeln (Open Government). Sie er­finden dafür (meist) keine neuen Rechts­grund­lagen – sie nutzen lediglich die Mittel, die der Zivil­gesellschaft bereits zur Ver­fügung stehen, bündeln ihre Kraft und ver­öffent­lichen die Resultate.
Ebenfalls in die Kategorie Open Knowledge einzuteilen ist die Wikimedia Foundation, die Schirmherrin von Wikipedia. Gemeinsam haben die Open Knowledge und die Wikimedia Foundation das ABC der Offenheit ver­öffent­licht, quasi ein neues Standardwerk für die Bewegung.
Es sei noch auf den aufstrebenden Zweig des Open GLAM verwiesen. Der Wert offen nutz­barer Kultur­bestände liegt vor allem in der Unter­stützung von Kultur­institutionen in ihrem gesell­schaft­lichen Auf­trag. Um z.B. einem öffent­lichen Bil­dungs­auf­trag nach­zu­kommen nutzen viele staat­liche Kul­tur­be­triebe bereits die Möglichkeit, ihre Daten ent­weder eigen­ständig digital auf­zu­be­reiten (gerade in der Co­rona-Krise fand das An­wendung) oder sie für Drit­te zu öff­nen. Hier kom­men neben In­for­ma­tiker*in­nen auch Künst­ler*innen und Desig­ner*innen ins Spiel, wie ganz aktuell am Kul­tur-Hackathon Coding DaVinci, bei dem auch die HBKsaar feder­führend mit­wirkt, gesehen werden kann.

»Mehr als die Hälfte des Marktes für kommerzielles Saat­gut wird von drei großen Konzernen be­herrscht, sie machen Saatgut zu Geld. Ihre Strategie hohe Gewinne zu erzielen geht einher mit einer Verein­heitlichung der Landwirtschaft. Mehr und mehr geht die ehemalige Sorten­vielfalt verloren und mit ihr das An­pas­sungs­potenzial der Land­wirt­schaft an den Klima­wandel.«
Open Source Seed Initiative in ihrem Video Saatgut als Gemeingut (00:08–00:29)

Im Bereich der Open Innovation und Open Research erklärt die Open Source Seed Initiative Saat­gut wieder zum Gemein­gut. Damit möchte sie der Einschränkung von Züchtungen durch privatisierte Patente und damit der Begren­zung der Sorten­vielfalt ent­ge­gen­wir­ken. Dass Open Source nicht bloß aus altru­is­tischen Motiven ge­schieht, zeigen die hier ange­wandten Vertriebs­wege: Die Open-Source-Seeds werden durchaus ver­marktet, Kreu­zungen oder das aus ihnen ge­wonnene Ge­müse werden verkauft. Freies Saat­gut heißt, dass niemand das Saat­gut und seine Weiter­ent­wicklungen pri­va­tisieren darf, Patent- oder Sorten­schutz sind also aus­ge­schlossen. Es heißt nicht, dass es zwin­gend kosten­frei sein muss. Getreide, das aus dem offenen Saat­gut stammt, wird in mehreren Berliner Bäckereien zu einem Open-Source-Brot ver­arbeitet und ver­kauft. Neben dem Open-Source-Brot existiert seit geraumer Zeit auch ein Open-Source-Bier, das sog. Free Beer.

»Free« as in »Free Speech«,
not as in »Free Beer«

Das etwas andere Freibier »Vores Øl v.1«

Vores Øl, aus dem dänischen Unser Bier, ist ein Projekt des dänischen Künstler­kollektivs SUPERFLEX und der Copenhagen IT University, das 2004 in einem Studien­projekt ent­stand und die Metho­den der Open-Source-Bewegung auf ein tradi­tio­nelles Pro­dukt an­wandt. Später wurde das Projekt in Free Beer umbe­nannt und aus­ge­rollt. Die Idee geht zurück auf ein Zitat des Free-Software-Gründers Richard Stallman:

»Free software is a matter of liberty, not price. To understand the concept, you should think of free as in free speech, not as in free beer

Damit spielte SUPERFLEX. Rezept und Etikett des Bieres sind als Creative Commons lizen­siert und damit Open Source. Jede*r kann das Bier brauen, es etiket­tieren, trin­ken, ver­schen­ken, ver­kaufen, ver­än­dern und ihre oder seine Ablei­tung des Rezepts oder der Grafik in die Welt tragen. Und das geschah auch, es gab bereits Open-Source-Gebräu aus Taipei, Sao Paolo, Los Angeles, München, Auckland und und und. Das Prin­zip des Free Beers dockt an der Open-Hardware- und Open-Design-Bewe­gung an und leitet uns direkt dorthin.

Stealing Free Beer

SUPERFLEX nahmen Stallmans Zitat als Auf­hänger, um mit dem Projekt Open Source zu thema­tisieren und vor allem auf den Aspekt der Frei­heit ein­zu­gehen. Mit dem Free Beer haben sie dazu ein ideales Mittel gefunden. Wer denkt dabei nicht zuerst an frei wie in kosten­frei? Frei­bier, super! Die Wenigsten werden wohl beim Lesen des Labels Free Beer ver­muten, dass es sich viel­mehr um frei wie in die Gedan­ken sind frei handelt. Das haben die drei Künstler auch in ihrer perfor­mativen Instal­lation Stealing Free Beer (2006) auf­ge­griffen. Einige Kisten Frei­bier standen vor einem pro­mi­nenten Ban­ner und luden die Be­sucher*innen der Aus­stellung Radical Software im Wattis Institute for Contemporary Arts (San Francisco) dazu ein, sich zu bedienen: »How do we know we’re not damaging the artwork? Oh… How do we know we’re not creating the artwork?«

Copycopycopyshop: Original und Kopie

SUPERFLEX gingen mit ihrem inzwischen begrabenen Projekt Copyshop: »If value then copy« sogar noch einen Schritt weiter und forderten geistiges Eigen­tum im All­gemeinen heraus. Frei nach Mark Gettys Zitat »Intellectual property is the oil of the 21st century« oder dem des Künst­lers Morten Skriver »Mans culture and technological development as we know it, is intrinsically connected to the free and unlimited right to copy.«

»Copyshop offers products that challenge intellectual property. It can be modified originals, improved copies, political anti-brands – or a Supercopy as the new original. Intellectual property in the form of copyright, licenses and patents has an increasing importance on society – and for what we say, where we say it, and to whom we say it to. The right over ideas maintains the status quo within the current economic order. Copyshop discuss the control of value in the same place where it is produced and distributed: the market.«
— SUPERFLEX über ihr Projekt Copyshop: »If value then copy«

Neben dem Künstler­kollektiv SUPERFLEX haben sich auch andere Kultur­schaffende popkulturell mit dem Thema Kopie und Original aus­ein­ander­gesetzt – bei­spielsweise der Musiker Romano in seinem Song Copyshop.

»Copy, Copy, Copy, Copy, Copyshop – die Kopie von der Kopie von der Kopie von der Kopie. Wer ist der Dieb, wer ist das Genie?«
Romano in Copyshop

Abgrenzung von blanker Kopie
zu demokratisierter Entwicklung

An dieser Stelle sei betont, dass die Kopie zur Ver­mehrung und Ver­teilung zwar essen­ziell mit dem Open-Source-Gedanken zusammen­hängt, dieser aller­dings weit über bloßes Ko­pie­ren hinaus­geht. Das steckt maß­geblich in der Prä­misse der Wechsel­seitigkeit. Die Kopie ist nur der erste Schritt. Hier trennt sich Open Source (zumindest in der Theorie) von der in Romanos Song anklingenden Frage »Wer ist der Dieb, wer ist das Genie?« auch durch den Fakt, dass ein Open-Source-Projekt je nach Lizenz immer wieder als solches auf­zu­tauchen hat. Es geht eben nicht nur darum, etwas zu kopieren und es für seinen eigenen Ge­brauch anzu­wenden – das ist zwar legitim, aber im Ideal kommt dazu, die Quell­datei gezielt oder während der An­wen­dung weiter­zu­entwickeln und diese optimierte Version wieder in die Gemein­schaft zurück­zu­führen. Es geht im Open Source also nicht um Kopieren als Dieb­stahl, es geht um Kopieren als demo­kratisierte Pro­gressivität.
Autoren­schaft wird im Open Source allerdings nicht abgeschafft – im Gegenteil, sie wird verteilt und breit­ge­fächerter gelebt. Jedes Git-Projekt (Versionierungstool) verzeichnet in einem Log der eingesandten Verbesserungen beispiels­weise die Namen der Macher*in­nen. Jede*r Beteiligte ist in Stein gemeißelt. Und wenn jemand den Bären­anteil an einem Open-Source-Pro­jekt stemmt, so wird dieser Person i.d.R. auch als Ini­tia­tor*in Wert­schät­zung und Autoren­schaft zuge­wiesen.